Kunde: Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz
Medium: Animationsfilm · Ausstellungs-Installation
Thema: Archäologie · Storytelling im Museum
Leistung: Illustration · Animation · Storytelling
Ich werde oft von Freunden und Bekannten gefragt, woran ich gerade arbeite. Wenn ich dann antwortete "An einem Animationsfilm über eine tätowierte Eismumie", bekam ich in der Regel ein sehr verwirrtes "Hä?" zurück.
Diese tätowierte Eismumie ist ein Highlight in der Ausstellung "chic!" des Staatlichen Museums für Archäologie in Chemnitz, die sich archäologisch verschiedenen Facetten des Thema Schmuck annähert. Es handelt sich bei der Mumie um die sterblichen Überreste eines Reiternomaden, der zwischen 500 und 300 v. Chr. im heutigen Sibirien gelebt hat, und der durch die dortigen klimatischen Bedingungen in seiner Grabkammer "konserviert" wurde.
Zusammen mit der Kuratorin Dr. Karina Iwe entwickelte ich einen Animationsfilm - oder eher eine animierte Installation? - um dieses einmalige Ausstellungsobjekt für die Besucher:innen mit Bild und Storytelling zum Leben zu erwecken.
Die große Herausforderung bestand darin, eine Balance zwischen wissenschaftlicher Evidenz und visueller Lebendigkeit zu finden: Was weiß die Wissenschaft überhaupt über das Leben des Reiternomaden? Welche Leerstellen gibt es - und wie können wir für die Animation konkrete Bilder finden, ohne zu viele Dinge zu "erfinden", die die Leerstellen füllen?
Obwohl wir uns für einen relativ abstrakten Stil entschieden (mehr dazu unten), enthält jedes Bild dennoch ungeahnt viele Detailinformationen. Zum Beispiel: Wenn ich den Reiternomaden mit freiem Oberkörper zeichne, hat er dann Brusthaar? Wenn ja, wie dicht oder licht ist es, welche Stellen des Körpers bedeckt es? Oder wie stark soll die Filzkappe des Nomaden mitfedern, während er reitet - denn selbst wenn die Zuschauer:innen es gar nicht bewusst wahrnehmen, prägt dieses Detail ihr Bild davon, wie steif oder weich sie sich dden Filz vorstellen.
All diese winzigen Details musste ich bedenken, und mich intensiv darüber mit Karina austauschen, die die wissenschaftlichen Fachkenntnisse dazu lieferte.
Für alle, die die Ausstellung 2022 in Chemnitz nicht gesehen haben, gibt es weiterhin eine Online-Ausstellung zu sehen.
STORYTELLING
Karinas Idee bestand darin, neben dem Exponat der Eismumie eine Animation zu zeigen, die das Thema der Tätowierung mit Leben füllt und eher "abstrakte" Informationen szenisch auflöst. Mit dieser Idee konnte sie mich sofort begeistern, weil ich selber bei Museumsbesuchen oft schade finde, dass - meiner persönlichen Meinung nach - Potentiale verschenkt werden, anschauliche Geschichten zu erzählen, weil sich zu stark auf das reine Exponat fokussiert wird.
Ich muss zugeben, dass ich mich zunächst aber etwas schwer mit dem "Storytelling" tat. Klassisches Erzählen ist auf (persönliche) Konflikte und Entwicklung aufgebaut, und beides gab die wissenschaftliche Forschung zu einem prähistorischen Thema natürlich nicht wirklich her.
Zufällig besuchte ich zu dieser Zeit aber das Vadehavcentret in Ribe (Dänemark), das in seiner Ausstellung ausgesprochen stark mit Animationen arbeitet. Diese Erfahrung half mir, die Animation weniger wie einen klassischen Kurzfilm zu denken - sondern eher als eine Art Installation zu begreifen, die einen Assoziationsraum eröffnet.
UNTERTITEL
Wie bereits angemerkt, erfordert jede Visualisierung sehr viele Detailentscheidungen, für die es im besten Fall eine wissenschaftliche Grundlage gibt - in manchen Fällen aber eben auch nicht. Um diesen Konstruktionscharakter wenigstens ein wenig transparenter zu machen, entschieden wir uns für eine Untertitel-Lösung. So wird in den Untertiteln mal mit, mal gegen die szenischen Bilder erzählt.
Die deutsche Fassung wurde anschließend ins Russische und Englische übersetzt.
STILFINDUNG
Aus naheliegenden inhaltlichen Gründen ist der Illustrationsstil lose an das Tattoo angelehnt ("Skythischer Tierstil").
Gleichzeitig bietet dieser Stil aber auch den Vorteil, dass er einen sehr hohen Abstraktionsgrad hat. So konnte ich bei Szenen ins Detail gehen, beispielsweise bei der detaillierten Ausgestaltung der Gebirgslandschaft (s.l.).
Andersherum war es auch möglich, Szenen nur sehr vage zu verorten, wenn wissenschaftlich gar nicht genau geklärt war, wie und wo diese vonstatten ging - wie z.B. die Tätowierszene (s.u.).
DIE AUSSTELLUNG
Und dann kam doch alles anders als gedacht. Kurz vor Ausstellungseröffnung begann Putin seinen Angriffskrieg auf die Ukraine, und innerhalb weniger Tage wurde klar, dass Karinas zweijährige Vorarbeit, die Eismumie als Leihgabe aus Sibirien zu organisieren, hinfällig war: Die Mumie würde nicht kommen - und die geplante Dramaturgie, anhand der Mumie als erste Station in die Themen der Ausstellung einzuführen, würde nicht aufgehen.
Dank der engen persönlichen Kooperation mit den russischen Wissenschaftlern (die sich öffentlich gegen den Krieg wandten), konnte die Eismumie immerhin auf Grundlage von Digitalisaten durch eine Projektion repräsentiert werden. Trotzdem erzählt dieser Raum nun eine ganz andere Geschichte als ursprünglich geplant, weil das Museum die Leerstelle der fehlenden Mumie nutzt, um die Auswirkungen des Krieges auf Kultur und Wissenschaft zu thematisieren.
Detail am Rande: Die Anfangsszenen sind so angelegt, dass Schwarzflächen im Anschnitt gezeigt werden. So "verschmilzt" in der Projektion die Animation immer wieder mit dem Ort - statt durchgehend in einem klar umrissenen Rechteck stattzufinden.
Mehr Museum:
Mehr Historisches:
Mehr Ausstellung:
Kunde: Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz
Medium: Animationsfilm · Ausstellungs-Installation
Thema: Archäologie · Storytelling im Museum
Leistung: Illustration · Animation · Storytelling
Ich werde oft von Freunden und Bekannten gefragt, woran ich gerade arbeite. Wenn ich dann antwortete "An einem Animationsfilm über eine tätowierte Eismumie", bekam ich in der Regel ein sehr verwirrtes "Hä?" zurück.
Diese tätowierte Eismumie war ein Highlight in der Ausstellung "chic!" des Staatlichen Museums für Archäologie in Chemnitz, die sich archäologisch verschiedenen Facetten des Thema Schmuck annähert. Es handelt sich bei der Mumie um die sterblichen Überreste eines Reiternomaden, der zwischen 500 und 300 v. Chr. im heutigen Sibirien gelebt hat, und der durch die dortigen klimatischen Bedingungen in seiner Grabkammer "konserviert" wurde.
Zusammen mit der Kuratorin Dr. Karina Iwe entwickelte ich einen Animationsfilm - oder eher eine animierte Installation? - um dieses einmalige Ausstellungsobjekt für die Besucher:innen mit Bild und Storytelling zum Leben zu erwecken.
Die große Herausforderung bestand darin, eine Balance zwischen wissenschaftlicher Evidenz und visueller Lebendigkeit zu finden: Was weiß die Wissenschaft überhaupt über das Leben des Reiternomaden? Welche Leerstellen gibt es - und wie können wir für die Animation konkrete Bilder finden, ohne zu viele Dinge zu "erfinden", die die Leerstellen füllen?
Obwohl wir uns für einen relativ abstrakten Stil entschieden (mehr dazu unten), enthält jedes Bild dennoch ungeahnt viele Detailinformationen. Zum Beispiel: Wenn ich den Reiternomaden mit freiem Oberkörper zeichne, hat er dann Brusthaar? Wenn ja, wie dicht oder licht ist es, welche Stellen des Körpers bedeckt es? Oder wie stark soll die Filzkappe des Nomaden mitfedern, während er reitet - denn selbst wenn die Zuschauer:innen es gar nicht bewusst wahrnehmen, prägt dieses Detail ihr Bild davon, wie steif oder weich sie sich diese Kappe vorstellen.
All diese winzigen Details musste ich bedenken, und mich intensiv darüber mit Karina austauschen, die die wissenschaftlichen Fachkenntnisse dazu lieferte.
Für alle, die die Ausstellung 2022 in Chemnitz nicht gesehen haben, gibt es weiterhin eine Online-Ausstellung zu sehen.
STORYTELLING
Karinas Idee bestand darin, neben dem Exponat der Eismumie eine Animation zu zeigen, die das Thema der Tätowierung mit Leben füllt und eher "abstrakte" Informationen szenisch auflöst. Mit dieser Idee konnte sie mich sofort begeistern, weil ich selber bei Museumsbesuchen oft schade finde, dass - meiner persönlichen Meinung nach - Potentiale verschenkt werden, anschauliche Geschichten zu erzählen, weil sich zu stark auf das reine Exponat fokussiert wird.
Ich muss zugeben, dass ich mich zunächst aber etwas schwer mit dem "Storytelling" tat. Klassisches Erzählen ist auf (persönliche) Konflikte und Entwicklung aufgebaut, und beides gab die wissenschaftliche Forschung zu einem prähistorischen Thema natürlich nicht wirklich her.
Zufällig besuchte ich zu dieser Zeit aber das Vadehavcentret in Ribe (Dänemark), das in seiner Ausstellung ausgesprochen stark mit Animationen arbeitet. Diese Erfahrung half mir, die Animation weniger wie einen klassischen Kurzfilm zu denken - sondern eher als eine Art Installation zu begreifen, die einen Assoziationsraum eröffnet.
UNTERTITEL
Wie bereits angemerkt, erfordert jede Visualisierung sehr viele Detailentscheidungen, für die es im besten Fall eine wissenschaftliche Grundlage gibt - in manchen Fällen aber eben auch nicht. Um diesen Konstruktionscharakter wenigstens ein wenig transparenter zu machen, entschieden wir uns für eine Untertitel-Lösung. So wird in den Untertiteln mal mit, mal gegen die szenischen Bilder erzählt.
Die deutsche Fassung wurde anschließend ins Russische und Englische übersetzt.
STILFINDUNG
Aus naheliegenden inhaltlichen Gründen ist der Illustrationsstil lose an das Tattoo angelehnt ("Skythischer Tierstil").
Gleichzeitig bietet dieser Stil aber auch den Vorteil, dass er einen sehr hohen Abstraktionsgrad hat. So konnte ich bei Szenen ins Detail gehen, beispielsweise bei der detaillierten Ausgestaltung der Gebirgslandschaft (s.o.).
Andersherum war es auch möglich, Szenen nur sehr vage zu verorten, wenn wissenschaftlich gar nicht genau geklärt war, wie und wo diese vonstatten ging - wie z.B. die Tätowierszene (s.u.).
DIE AUSSTELLUNG
Und dann kam doch alles anders als gedacht. Kurz vor Ausstellungseröffnung begann Putin seinen Angriffskrieg auf die Ukraine, und innerhalb weniger Tage wurde klar, dass Karinas zweijährige Vorarbeit, die Eismumie als Leihgabe aus Sibirien zu organisieren, hinfällig war: Die Mumie würde nicht kommen - und die geplante Dramaturgie, anhand der Mumie als erste Station in die Themen der Ausstellung einzuführen, würde nicht aufgehen.
Dank der engen persönlichen Kooperation mit den russischen Wissenschaftlern (die sich öffentlich gegen den Krieg wandten), konnte die Eismumie immerhin auf Grundlage von Digitalisaten durch eine Projektion repräsentiert werden. Trotzdem erzählt dieser Raum nun eine ganz andere Geschichte als ursprünglich geplant, weil das Museum die Leerstelle der fehlenden Mumie nutzt, um die Auswirkungen des Krieges auf Kultur und Wissenschaft zu thematisieren.
Detail am Rande: Die Anfangsszenen sind so angelegt, dass Schwarzflächen im Anschnitt gezeigt werden. So "verschmilzt" in der Projektion die Animation immer wieder mit dem Ort - statt durchgehend in einem klar umrissenen Rechteck stattzufinden.
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